Poljot International baut in Alzenau mechanische Uhren, ohne die russischen Wurzeln der Firma zu verleugnen. Mit der nach ihm benannten Marke bewegt sich der Inhaber im Luxussegment.


ALZENAU. Planwirtschaft zahlt sich hin und-wieder doch aus – aIlerdings anders als geplant. Alexander Shorokhoff ist ein gutes Beispiel dafür. Ohne sozialistische Planer wäre er heute kaum Inhaber und Geschäftsführer einer 15 Beschäftigte zählenden Uhrenmanufaktur in Alzenau. Es gäbe keine nach ihm benannte Luxusmarke und wohl ebenso keine Uhr die dem mittlerweile betagten ersten Spaziergänger im Weltall Alexej Leonow gewidmet ist. Ganz zu schweigen von dem sportlichen Chronographen, den er für Kostya Tszyu, einen früheren australischen Boxweltmeister russischer Herkunft, entworfen hat. Nach dem Ingenieur-Abschluss an einer Universität in Moskau arbeitete er sich an die Spitze einer staatlichen Baufirma hoch, bevor er von der Kommunistischen Partei zum Leiter einer größeren Jugendorganisation gemacht und schließlich ins Moskauer Bezirksparlament gelotst wurde. Dort lernte er den Chef der russischen Uhrenfabrik Poljot kennen – für seine Zukunft ein vorentscheidender Schritt.



Denn, nachdem Shorokhoff im, Anschluss an den Fall des Eisernen Vorhangs für gut ein Jahr zur „Weiterbildung in Marktwirtschaft“ nach Hessen geschickt worden war, unterbreitete ihm der Poljot-Präsident ein Angebot: ob er nicht für die Uhrenfabrik in Deutschland einen Vertrieb aufbauen wolle. Obwohl er bis dahin mit der Uhrenbranche nichts zu tun gehabt hatte, nahm er die Aufgabe an – oder genauer: die Herausforderung, Denn für Poljot betrat er in doppeltem Sinne Neuland. Zwar war die Marke zu Anfang der neunziger Jahre in Ostdeutschland schon seit langem verbreitet, nicht aber im Westen. Vor allem musste Poljot erst einmal das Verkaufen lernen. „Bis dahin hat man die Uhren verteilt“, sagt Shorokhoff im Rückblick. Verteilt nicht im Sinne von verschenkt – die Fabrik erhielt schon Geld. Nur war von Vornherein klar, wie viele Uhren zu-welcher Zeit an welchen Ort zu liefern waren. Die Bürokratie gab die Nachfrage vor. Planwirtschaft eben. Zu jener Zeit war Poljot ein Riese, Betriebskindergarten und andere Sozialeinrichtungen inklusive. Wobei Poljot, im Gegensatz zu westlichen Uhrenfabriken, alles selbst herstellte. Gehäuse und Werke, Zifferblätter und Zeiger. „Damals haben 6000 Leute in Moskau sechs Millionen Uhren im Jahr produziert“, erinnert sich Shorokhoff. Mit dem guten Ruf der Marke im Rücken vermochte er innerhalb von zwei Jahren an die 200 Händler im Westen für Poljot zu gewinnen – doch bekam er bald Konkurrenz aus eigenen Reihen: Da nach dem Zerfall der Sowjetunion im alten Poljot-Universum nicht mehr so viele Uhren zu verkaufen waren wie zuvor, landete ein Teil der Produktion auf Flohmärkten in Deutschland. Ein Chronograph war dort für rund hundert Mark zu haben, während das Produkt im Geschäft mehr als das Doppelte kostete. Auch um Kunden nicht zu verprellen, nabelte sich Shorokhoff ab und gründete 1994 Poljot International. Im Jahr darauf präsentiert er seine neue Marke sowie die erste Reihe der Schwestermarke Basilika.


Das Unternehmen sitzt in Alzenau in einem barock anmutenden hellen Haus mit Schmuckelementen aus rotem Sandstein und firmiert unter Poljot-V GmbH. Eine schmale Treppe führt hinauf in die Geschäftsräume, eine andere hinab in die Produktion und zum Vertrieb. Dass der Inhaber und die Marke russische Wurzeln haben, ist schon auf den ersten Blick unschwer zu erkennen. Die ineinander schachtelbaren, eiförmigen Matrjoschka Puppen fallen ebenso ins Auge wie die Ölgemälde mit Porträts russischer Adliger. Wer auf Shorokhoffs Nachfrage, was er denn trinken möchte, ein Wasser bestellt, sollte Mineralwasser sagen – sofern es nicht ein russisches „Wässerchen“ mit 40 Prozent sein soll, das zur Hand wäre. So wie der Firmensitz sind auch die in 37 Länder exportierten und von rund 1000 Händlern weltweit vertriebenen Produkte von Poljot International. Sie verbinden „Made in Germany“ mit einem russisehen Herzen. Vier Uhrmacher im Haus und zwei in Heimarbeit setzen die Einzelteile zu mechanischen Uhren zusammen. Anders als die frühere Mutterfirma stellt Poljot International die Gehäuse und Zifferblätter nicht selbst her, sondern entwirft sie und lässt sie yon Spezialisten fertigen. „Das ist europäischer. Standard“, sagt der Inhaber. In den Gehäusen ticken Poljot-Werke, das Chronographenwerk 3133 für Handaufzugmodelle etwa, sowie Werke der anderen russischen Hersteller, Slava und Wostok. Für Automatikuhren verwendet das Unternehmen das Werk 7750 des Herstellers Eta, der zum Swatch-Konzern zählt. Wobei es die Werke mit einem Oberflächenschliff und gebläuten Schrauben veredelt. Ein einfaches Werk stellt die Firma auch selbst her. Für 2011 kündigt Shorokhoff eine Neuheit auf dem Chronographenmarkt an eine Uhr mit Stoppfunktion, einer großen Datumsanzeige unter der 12 und einer Doppelzeit auf der 6, die per Drücker aktiviert wird und neben der Frankfurter etwa die New Yorker Zeit anzeigen kann. Das gibt uns mehr Exklusivität und zeigt unsere uhrmacherische Leistungsfähigkeit“, sagt Shorokhoff mit Blick auf das Produkt, das er mit einein anderen Unternehmer aus Deutschland entwickelt. 20 000 Euro kostet die Arbeit daran, bis die Marktreife erreicht ist, wie er sagt. Die Investition erfolgt in einer Zeit, in der die Umsätze nach einem Minus von acht Prozent im Jahr 2009 wieder steigen. Mit solchen Novitäten oder einer Uhr mit Bernsteinboden und Swarovskisteinen oder Diamanten für esoterisch angehauchte Frauen will Poljot International aus der Masse herausragen. Schließlich wird der Markt schier mit Uhren überschwemmt.

Von Thorsten Winter – FAZ

http://www.poljot-international.com/
http://www.alexander-shorokhoff.de/